Musica Viva DVD 9

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Musica Viva DVD

“Schwarz auf Weiß” ist Schwarz auf Weiß

Eine der Fragen, die es auf dem berühmten, doch längst eingestellten Fragebogen des Magazins der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu beantworten galt, hieß “Welche militärischen Leistungen bewundern Sie am meisten?”. Im FAZ -Magazin vom 28.Januar 1994 lautete die Antwort darauf “Die Erfindung des Hörspiels”, formuliert vom Komponisten Heiner Goebbels.

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“Schwarz auf Weiß” ist Schwarz auf Weiß

Eine der Fragen, die es auf dem berühmten, doch längst eingestellten Fragebogen des Magazins der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu beantworten galt, hieß “Welche militärischen Leistungen bewundern Sie am meisten?”. Im FAZ -Magazin vom 28.Januar 1994 lautete die Antwort darauf “Die Erfindung des Hörspiels”, formuliert vom Komponisten Heiner Goebbels. Vielleicht eine nicht unmittelbar eingängige Antwort, schließlich haben die Anfänge des Radiohörspiels um 1924 mit dem martialischen Treiben des Soldatentums so viel nicht gemein, und an eine lauschende Gemeinde, die fasziniert den Krächen und Geräuschen der Kriegsmaschinerie zuhört, hat Goebbels wohl nicht gedacht,obgleich – man darf es nicht unterschlagen – der Futurist Luigi Russolo (1885-1947) seine 1913 erstellte Typologie der Geräusche, sein Manifest L’arte dei rumori auch auf der akustischen Grundlage von Maschinengewehrsalven und knarzenden Panzerketten erstellte. Erstmals suchte hier ein Autor die technischen Sounds der Zivilisation,auch die des Grauens, zu systematisieren, als gehörte, als hörbare Situation zu fixieren. Ähnliches allerdings in Bezug auf Naturklänge tat schon im 19. Jahrhundert der englische Strumpffabrikant, dilettierende Musiker und Musikschriftsteller William Gardiner (1770-1853) aus Leicester. 1832 erschien als Gemeinschaftsproduktion des Londoner Verlages Longman,Rees,Orme,Brown,Green,and Longman sowie des Publikationshauses Thomas Combe and Son,and Albert Cockshaw aus Leicester ein Kuriosum unter dem ursprünglich natürlich englischen Titel: Die Musik der Natur; oder ein Versuch zu beweisen, daß, was leidenschaftlich und gefällig ist in der Kunst des Singens, des Sprechens und des Spielens auf Musikinstrumenten, von den Klängen der belebten Welt abgeleitet ist. “Der Verfasser” – schreibt Gardiner im Vorwort von The Music of Nature – “hat seit langem die Gewohnheit,Klängen jeder Art zu lauschen und dies mit besonderer Aufmerksamkeit.” Das nun hat der Verfasser dieser Zeilen mit dem italienischen Futuristen Russolo, mit John Cage,der sich am Anfang seiner Karriere namentlich auf die Futuristen bezog,und mit vielen anderen namhaften und eher namenlosen Menschen gemeinsam.Musik verlangt von jeher ein hellhöriges Publikum, das sich ihren Strukturen und Klängen hingibt, sie dechiffriert und analysiert.Das Hörspiel will allerdings samt seiner nahen Verwandten die Achtung der Hörenden auf etwas lenken, das eher unbeachtet bleibt: die Akustik der Umwelt.Fernab von Partituren,dem Konzertsaal,der traditionellen musikalischen Praxis suchen die Spielformen des Hörspiels – selbst wenn es nah an der traditionellen Dramaturgie des Theaters kleben bleibt – intensiv nach Geräuschen und Klängen des Alltags (inklusive der naturalen Sounds) und den unterschiedlichsten Hör-Zuständen,Ohr-Situationen. Dies ist eine Position, die die künstlerische Avantgarde vor gut hundert Jahren – also doch Kunst als Militärgeschichte – in die kulturelle Entwicklung des Abendlandes eingebracht hat und die mithin, um ein Bonmot von Mauricio Kagel zu paraphrasieren, in der Programmmusik als unmittelbaren Vorläufer des Hörspiels erste genetische Spuren besitzt.

Schwarz auf Weiß ,wie Heiner Goebbels sein 1996 in Frankfurt am Main uraufgeführtes Musiktheater für Ensemble, Licht und Bühne nennt, ist auch ein Hörstück, also “eine akustische Gattung unbestimmten Inhalts”, um noch einmal die lexikalisch-definitorische Verbalkunst des Mauricio Kagel herbeizurufen. Ein Hörstück, das Goebbels nach der Bühnenpremiere 1996 mit dem Ensemble Modern für die Hörspielabteilung des Südwestrundfunks Baden-Baden adaptiert hat. Es gibt also eine Live-Version des Stückes und eine medial fixierte Fassung, in der gewisse akustische Aspekte des Raumes deutlicher, verdeutlichter oder gar verschwunden sind, deren Realisation in gehörter Lebenszeit nur kaum oder eben gar nicht möglich ist. Vom Licht, dem Realraum und den Kostümen sowie der Lebendigkeit des Geschehens mal ganz abgesehen. Die musikübergreifende Komposition, so hat es Hans Burkhard Schlichting, der verantwortliche Redakteur der Rundfunkproduktion, einmal trefflich notiert, ist “ein Stück ohne Protagonisten, bei dem das Ensemble selbst der Protagonist ist. Die Musiker werden zu bewegten Hör-Spielern, die in szenischen Aktionen ihr vertrautes Instrument nicht selten gegen andere Instrumente oder signifikante Geräuschquellen vertauschen. Der Kunstraum des Musiktheaters wird zum Spielraum des Alltags.” Überdies geht es in Schwarz auf Weiß um spezielle Geräuschlandschaften, etwa die des Schreibens,wenn ein Stift (ein Bleistift, ein Kugelschreiber, ein Füller) aufs Papier trifft, Schreibklänge entstehen – authentische und verfremdete. Das ist in diesem Stück gleich dreimal der Fall: in den “Writings” genannten Sätzen Nr. 8 sowie Nr. 21 und 22.Ohnehin können die insgesamt 24 Satznamen von Schwarz auf Weiß beim sehenden Hören durchaus eine dramaturgische Orientierungshilfe bieten,weshalb sie genannt sein sollen: 1.”Qui parle?” – 2.The Concert (Zither) – 3.Text Machine (Spiele) – 4.Readings I (Ye who read) – 5. “Du der Lesende” – 6. In the Basement – 7.Readings II (Over some flasks) – 8. Writings I (Spiele) – 9. Harrypatari – 10. Unisono – 11.Readings III (A dead weight – un poids mortel) – 12.Chaconne/Kantorloops – 13.Marseille, 22. September 91 (Pegelton) – 14.Readings IV (Cependant nous poussions nos rires) – 15.Letter Brass – 16.Brass in 5/4 – 17.The Bazen Doorway – 18.”Wir saßen nachts” – 19.The Corpse – 20.Toccata for Teapot & Piccolo – 21. Writings II (Tutti) – 22. Writings III (Strings und Sampler) – 23. Koto Machine – 24.”Doch allmählich hörten unsere Lieder auf”

Zurück zum Schreiben, zum Kontext und zur Haltung des Schreibenden, eines Akteurs, der – Sprung ins Kleistsche Jahr 1805 – Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden (respektive Schreiben) sinniert,selbiges praktiziert.Im OEuvre von Heiner Goebbels,und freilich nicht nur in seinem, spielt die Situation, das Bild, die Aktion des/der schreibend Tätigen eine große Rolle. Allerdings thematisiert Goebbels, wie so manch pfiffiger Kritiker angenommen hat, nicht sich selbst, nicht den schreibenden Künstler als einsam, isoliert Grübelnden, sondern präsentiert mit der Schreib(tisch)- Situation einen Prozess, nämlich den des im Sitzen Schreibenden, ein nach Außen hin zwar mehr oder weniger sich zeigendes Stillleben,in Wirklichkeit aber ein imposantes, mitunter rumorendes Hörspiel im Inneren, ein akustisch- akrobatisches Kopfstück, eine Innenohrkomposition, somit eine tatsächlich körperliche Tätigkeit mit einer weiten Skala von “Schreibtischresonanzen “. Auch das ist Schwarz auf Weiß : ein Stück,innere Vorgänge nach außen zu klappen,die Außenseite des Inneren zu zeigen, erklingen zu lassen. Zugleich ist Schwarz auf Weiß , so Heiner Goebbels, “eine Art Abschied von Heiner Müller. Aber es ist kein Abschied in Form eines traurigen Requiems. Es gibt dem Stück durchaus Leichtigkeit und Humor. Und da ist auch eine Balance zwischen dem Charme eines Live-Ereignisses und der Reflexion. So etwas geht nur mit hervorragenden Musikern wie denen des Ensemble Modern, die nicht nur ihre eigentliche Profession ausüben, sondern auch szenisch agieren,sprechen,singen etc.”

Der (Ost-)Berliner Schriftsteller Heiner Müller (1929-1995) und die Mitglieder des Ensemble Modern – im ästhetischen Denken und im Werk von Heiner Goebbels bilden sie zwei wichtige Stränge.Wiederholt hat Goebbels die Müllersche Literatur vertont, umspielt, sich zu eigen gemacht und auch die markante Stimme Heiner Müllers in seinen akustischen Spielformen Klang werden lassen; mehrfach hat Goebbels seine Musikkonzepte mit dem Ensemble Modern aus der Taufe gehoben,die Parte den engagierten Musikern auf den Leib geschrieben,teils mit ihnen gemeinsam entwickelt.

In Schwarz auf Weiß hört man als Zuspielung Heiner Müllers Stimme, die den Text des amerikanischen Schriftstellers Edgar Allan Poe (1809-1849) Schatten liest, eine Parabel über den Tod, über das Lesen, über das Schreiben. Außer diesem verwendet Goebbels noch zwei weitere Texte: zum einen den Beginn des Romans L’attende l’oubli ( Warten, Vergessen ) des französischen Literaturtheoretikers und Schriftstellers Maurice Blanchot (1907-2003) sowie Verse des englischen Dramatikers John Webster (um 1580-1625), die der Literaturnobelpreisträger Thomas Stearns Eliot (1888-1965) in seinem Poem The Waste Land zitiert und die Heiner Müller ins Deutsche übertrug.

Vom Schreiben also handelt Schwarz auf Weiß ; ist ein Werk mit hörbaren Buchstaben und den Klängen um sie herum,eine Komposition mit Stimmen, akustische Literatur & Kunst,Musiktheater, Klangszene, Hörspiel, ist ein Schall-Schatten-Spiel zu schwarz auf weiß.

 

“ICH BIN JA FANTASIEFREI”
Stefan Fricke im Telefongespräch mit Heiner Goebbels

Telefonieren, so notierten Sie es 1994 im Fragenbogen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung , sei Ihre Lieblingsbeschäftigung. Ist das immer noch so?
Das hat sich geändert (lacht). Ich telefoniere eigentlich gerne,weil ich es mag, wenn Bild und Ton nicht zusammenkommen,man dabei zum Beispiel durchs Fenster schaut, und das eine Konversation auch anregen kann.Aber momentan habe ich sehr viel zu tun, und das freiwillige Telefonieren muss darunter leiden.

Ist das Trennen von Bild und Ton auch für Ihr Komponieren wichtig?
Beim Komponieren ist es anders.Wenn ich für das Musiktheater arbeite,ist es eigentlich ein Privileg,beides gleichzeitig entwerfen zu können und nicht die eine Seite jemand anders übergeben zu müssen; hier führe ich mir auch beim Komponieren die Szene vor Augen und dabei spielt die räumliche Kategorie eine große Rolle. So positioniere ich zum Beispiel gerne Instrumente, die zusammen spielen, in großer Entfernung voneinander, damit der Zuschauer – wie bei meinem “Eislermaterial” – die Kommunikation der Musiker beobachten und unmittelbar daran teilhaben kann. Die Kommunikation zwischen den Musikern ist also manchmal absichtlich erschwert, damit sie öffentlich wird.Musiker sitzen ja immer gerne nah beieinander,haben möglichst intensiven und direkten Kontakt,was für die Musik und für ein reines Konzert auch von großem Gewinn ist. Aber für den Zuschauer einer szenischen Arbeit schließt diese Nähe auf der Bühne seine Nähe zum Geschehen aus.Deshalb setze ich eher auf Distanz.

Für das Schreiben von Hörspielen oder radiophonen Stücken liefert das Telefonieren aber doch wichtige Impulse?
Ja, das hat natürlich mit dem alten Bob Wilson-Diktum zu tun: “Beim Stummfilm ist der akustische Raum unendlich. Beim Hörspiel ist der optische Raum unendlich.” Die mangelnde Kongruenz zwischen Klangreichtum und Bilderreichtum empfinde ich immer als sehr anregend. Ich hoffe, dass ich das in den Musiktheaterstücken weiterentwickeln und ans Publikum weitergeben kann.

Sie sagten in dem besagten F.A.Z. -Fragenbogen auch, Ihr Motto hieße “In meiner Arbeit für alles mindestens vier Gründe zu haben”. Ist das denn noch so?
Das hat sich nicht geändert (lacht).

Können Sie das anhand Ihres Musiktheaters Schwarz auf Weiss , das Sie für das Ensemble Modern geschrieben haben, etwas näher darstellen?
Tatsächlich gab es auch für Schwarz auf Weiss mehrere Gründe.Erstens wollte ich ein Stück erarbeiten, in dem das Ensemble der kollektive Protagonist ist; dazu kam mit dem Tod Heiner Müllers mein Entschluss,seine Stimme in dieser Arbeit immer wieder auftauchen zu lassen. Sie liest eine Erzählung von Edgar Allen Poe: Der Schatten .Man kann das als narrative Ebene des Abends lesen. Zugleich ist es aber auch ein Stück über die Abwesenheit: nicht um sonst drehen uns die Musiker meist den Rücken zu und Poe beschwört in seiner Fabel die Stimmen der Verstorbenen.

Was Sie gerade skizziert haben, ließe sich dem weiten und ebenso offenen Feld des “Instrumentalen Theaters” zuordnen
Vielleicht ist es einfach Musiktheater im Wortsinn. Theater aus Musik. Die Musiker spielen ja keine anderen Rollen,oder theatrale Figuren, sie sind und bleiben hier Musiker

 und das wäre in unserem Verständnis von neuer Musik durchaus etwas Innermusikalisches. Nun sagen Sie von sich selbst, dass Ihrer Arbeit stets ein außermusikalischer Anlass zu Grunde liegt.
Das stimmt. Aber eher für meine Oper Landschaft mit entfernten Verwandten , in der die Musiker des Ensemble Modern sich, quasi in einer Kostümorgie, Bilder erarbeiten,die sich aus ganz entfernten,auch historisch oder kulturell zurückliegenden Zusammenhängen ergeben. Hier kommen wesentliche Motive aus der Bildenden Kunst.Bei der Oper liegt es ja nahe,dass man einen außermusikalischen Anlass hat. Das ist bei den meisten meiner Kollegen auch so.Worauf Sie anspielen ist aber natürlich die Frage: Woher kommt der außermusikalische Anlass für eine reine Orchestermusik (wie Industry and Idleness ) oder für ein Kammermusikstück (wie Herakles 2 ) und warum braucht man den da? Ich glaube, dass es der Musik, wie übrigens allen Künsten, nur gut tun kann,wenn sie für Impulse aus den Nachbarkünsten offen ist. Zum Beispiel wenn man den Rhythmus einer musikalischen Struktur gar nicht aus einem musikalischen Impuls wählt, sondern aus einer Textform. Oder wenn man sich für die Architektur eines musikalischen Satzes aus dem Metier des Films anregen lässt.Oder auch (wie bei Surrogate Cities ) wenn man den Anlass, also in diesem Fall der Kompositionsauftrag anläßlich der 1200-Jahrfeier Frankfurts,selbst zum Thema macht.Das ist mir immer ein erfreulicher Umweg. Eisler hat ja mal gesagt “Wer nur was von Musik versteht,versteht auch davon nichts”. Vielleicht ist es bei mir auch der Versuch, mich gegen eine gewisse Art von Fachidiotie und Klangverliebtheit,oder gegen den ausschließlichen Aufenthalt im eigenen Material zu verwehren.

Sie sehen für sich aber nicht die Gefahr, in den Bereich der Programmmusik zu geraten, eine Vokabel, die heute ja fast schon eine Verbalinjurie ist?
Erstmal würde ich Programmmusik nicht nur als Schimpfwort begreifen,das hängt vom Verhältnis von Stoff und musikalischer Realisierung ab.Wenn das in einem direkten, illustrativen Verhältnis steht, kann man mit Recht von Programmmusik sprechen. Bei ausreichender Spannung zwischen Thema und Ausführung, wenn man alle naheliegenden Assoziationen erstmal umgeht oder weglässt und sich genau dafür viel Zeit nimmt, dann liegt die Gefahr zwar immer noch auf der Hand, ist aber gerade eine kreative Herausforderung; ja vielleicht ist gerade das der Stachel, der einer innermusikalischen Beschäftigung fehlt.

Sie haben eben Hanns Eisler erwähnt, über den Sie 1975 auch Ihre soziologische Diplomarbeit geschrieben haben. Welche Bedeutung haben die Person Eisler und sein OEuvre für Ihr Selbstverständnis als Künstler und Ihre kompositorische Entwicklung?
Man kann das selbst ja nicht richtig einschätzen. Ich glaube nicht, dass es direkte Vorbilder für meine Arbeit gibt,wie es manchmal die Meisterschüler in ihren Lehrern haben. Und was das Werk Eislers anbetrifft, so sind es zunächst nur mal ein paar Lieder gewesen,die mich in den 1970er Jahren deswegen gefesselt haben, weil ich in ihrem musikalischen Material etwas gespürt habe, was mir sein agiles Verhältnis von Musik und Politik auszudrücken schien; und das in einer großer Einfachheit.Was mich noch mehr an Eisler interessiert hat, waren seine Gesprächen mit Hans Bunge, die ich damals gelesen habe.Mir schien seine kompositorische Haltung so durchdrungen von seinem politischen Anspruch, dass man nicht mehr von zwei letztlich unvereinbaren Kategorien sprechen konnte, wie bei vielen anderen politischen Künstlern.Bei Eisler hat sich das wirklich auf eine fast körperlich zu nennende Weise miteinander verbunden.Heiner Müller hat ja mal gesagt “mit Politik und Kunst ist es so, als wenn man ein Pferd vor das Auto spannt. Entweder ist das Pferd tot oder das Auto läuft nicht mehr”.Wenn man Kunst und Politik als getrennte Kategorien behandelt, wird man das dem Werk immer anmerken.Die Absicht legt sich dann bleischwer auf die musikalische Arbeit. Das ist aber etwas, was man bei Eisler selten findet. Bei Eisler wird diese der Komposition zugrundeliegende Haltung selbst spürbar in dem Anlass, zu dem er etwas schreibt; sie wird spürbar in der Zuständigkeit für alles, auch darin, dass er seine eigene Melancholie auch in der Arbeit zulässt, also: weil er nichts ausgrenzt. Das ist seine große Qualität, dass er in der Lage war das alles auszuhalten und nicht zu verdrängen und sich – bei aller Parteilichkeit – nicht nur auf eine widerspruchsfreie Seite zu schlagen. Ein hoch dialektischer Vorgang – dies in seine Musik übersetzen zu können.

Ist das eine Haltung, die auch für Ihre Arbeit maßgeblich ist.
Es ist ein Ansporn, nichts außer Acht zulassen, und sich nicht zu schnell auf eine Seite zu schlagen,weil auf ihr einfacher zu laufen ist.Sie können das auch musikalisch diskutieren.Wenn Sie sich etwa für Pop- oder Rockmusik interessieren und damit aufgewachsen sind, aus diesem musikalischen Kontext kommen wie ich und Sie schreiben zum ersten Mal etwas für Ensemble in einem Kontext von Neuer Musik, dann laufen Sie natürlich sehr schnell Gefahr, sich dem Jargon anzubiedern, der vermeintlich dort angesagt ist. Und das ist ein Problem,dem nicht nur Frank Zappa zum Opfer gefallen ist, als er zum ersten Mal für Pierre Boulez geschrieben hat. Letztlich muss man beim Komponieren Takt für Takt entscheiden, wo man die favorisierten ästhetischen Grundsätze verrät und wo nicht.

Darf ich Sie jetzt einladen, eine Definition zu wagen, was Musik für Sie ist?
Nein, das dürfen Sie nicht (lacht). Für mich ist das schwierig, weil ich beim Hören nichts trennen kann. Ich setze auch das Geschrei der Krähen, die ich hier am Fenster meiner Wohnung gerade vorbeifliegen sehe, in ein harmonisches Verhältnis zu dem Motorengeräusch des Busses, der unten auf der Straße vorbeibrummt. Alles, was ich akustisch wahrnehme, kann für mich Musik sein.Und mein Anspruch besteht darin,keine ausschließende Unterscheidung zwischen den Klangmaterialien zu treffen, eine Balance zu komponieren zwischen Text als musikalischen Klang, Geräusch und dem, was man gemeinhin als Musik bezeichnet.

Gehört dazu auch das Visuelle?
Nein, zunächst trenne ich die beiden Sphären. Das schließt überhaupt nicht aus, dass es große Kongruenzen gibt, die in der Musiktheaterarbeit auch immer wieder bedienen muss,wenn man überhaupt Bild mit Ton verknüpfen möchte.Natürlich muss das Verhältnis,wie Adorno sagen würde,”einschnappen “. Trotzdem gibt es eine große Selbstständigkeit der Wahrnehmungsbereiche, von denen es das Ohr oft schwerer hat als die anderen. Das ist ein Argument,weshalb ich viele Inszenierungen zeitgenössischer Opern für viel zu opulent und zu expressiv halte,weil sie das Auge so festlegen und dem Ohr zu wenig Raum lassen.

Als der Schriftsteller Rainald Goetz noch recht unbekannt war, haben Sie 1989 Ihrer Komposition Befreiung einen seiner Texte zugrundegelegt. Gibt es derzeit andere jüngere Autoren, für die Sie sich besonders interessieren?
Akut nicht; der Schriftsteller, für den ich mich momentan am meisten interessiere, inszeniert seine Arbeiten selbst auf eine Art und Weise,dass sie schon musikalisch erscheinen. Ich meine René Pollesch, den ich auch als Theater macher sehr schätze und der durch eine bestimmte Formalisierung von Gesprächschoreografie seine Texte rhythmisiert und damit schon in Musik umsetzt.Dann braucht es den Musiker nicht mehr.

Ihre Musik ist sehr erfolgreich, sowohl in der engeren Neuen Musik-Szene als auch darüber hinaus. Wie erklären Sie sich das?
Ich versuche,niemanden auszuschließen und habe auch kein pädagogisches Verhältnis zu meinem Publikum. Ich bin nicht jemand, der sich über sein Publikum beschwert und sagt “die Leute haben doch keine Ahnung” und das Publikum einschüchtern oder ihm imponieren will mit einer hochgradigen Komplexität.Ich glaube,das Publikum,das zu meinen Arbeiten kommt,setzt sich aus Menschen mit sehr unterschiedlichen Interessen zusammen,kommt etwa von der Literatur oder der Bildenden Kunst oder aus sehr verschiedenen Musikszenen, auch aus einer, die normalerweise mit der Neuen Musik Probleme hat,oder aus einer Theaterszene,die lieber ins Kino geht etc.

Wollen Sie Ihre latent angeklungene Kritik an der Neuen Musik-Szene noch ein wenig weiter ausführen?
Es gibt eine gewisse Schwerkraft eines musikalischen Jargons vor allem in Mitteleuropa, der sich vor allem an handwerklicher Komplexität misst und nicht an der zugrundeliegenden musikalischen Haltung. Das merkt man nicht nur in Konzerten, sondern auch wenn man in den Jurys für Kompositionspreise sitzt.

Haben Sie Ideen, wie sich die Kluft zwischen Publikum und der Neuen Musik verringern könnte?
Nein,die habe ich nicht.Ich bin ja,und das hat mein Leben immer erleichtert, fantasiefrei. Ich habe keine Visionen und belästige damit auch niemanden. Ich reagiere eher, auch in meiner Arbeit. Zum Beispiel auf einen Anlass, auf einen Auftrag, auf einen Klang, auf ein Material, einen Text. Es hat sich auch an den engen Grenzen der verschiedenen Musikszenen schon sehr viel getan, nicht immer mit ästhetischem Erfolg,weil die Vermischung von allem und jedem, die man heute oft hört, einhergehen muss mit erhöhter Kriterienwachsamkeit. Ich vermisse aber zum Beispiel auf seiten der Musiktheorie und Kritik ein ausgebildetes Sensorium dafür, inwieweit gerade eine Musik, die die Genregrenzen sprengt, ihren Gesetzen nach gut gebaut ist. So wird zwar meistens die Diversität der Materialien beschrieben,aber eine Untersuchung dessen,warum das – trotzdem – funktioniert, findet nicht statt. Aber gerade das sind Fragen, die mich als Komponisten sehr interessieren.Warum funktioniert zum Beispiel ein Geräusch in einem musikalischen Kontext als musikalisches Element? Was hat es mit möglicherweise sehr konventionellen musikalischen Kategorien oder auch mit inhaltlichen Voraussetzungen zu tun? Die Tatsache der divergierenden Materialien allein ist ja noch kein Grund zur Freude.

Gibt es unter den jüngeren Komponisten welche, deren Entdeckung Sie empfehlen?
Es gibt vor allem noch eine Grenze, die es einzureißen gilt, und die liegt bei der klassischen akademischen Musikausbildung. Es wäre sicher für alle von Vorteil, die Kompositionsklassen auch zu öffnen für Talente mit einer anderen musikalischen Kultur. Viele der besten Performer und Kollegen, mit denen ich in den letzten zwanzig Jahren arbeiten durfte, können vielleicht nicht einmal Noten lesen (ich darf jetzt keine Namen nennen),ihr Blick auf die Musik scheint aber wesentlich kreativer als so vieles,was aus den klassischen Werkstätten kommt.

Seit 1972 leben Sie in Frankfurt
Ja, ein wunderbarer Ort.Man wird beim Arbeiten trotz der Hektik und des Großstadtbetriebs nicht gestört, weil man als Künstler nicht gefeiert wird. Höchstens mal zum 50. Geburtstag.Die Stadt hat mich in der Ignoranz des Kulturellen immer angeregt und herausgefordert. Ich glaube,was hier trotzdem entsteht, muss sich irgendwie messen können mit den tatsächlichen Kräfteverhältnissen.Das ist für die eigene Arbeit nur von Vorteil

 

Shadow – A Parable (Edgar Allan Poe)

Yea! Though I walk through the valley of the Shadow (Psalm of David) Ye who read are still among the living; but I who write shall have long since gone my way into the region of shadows.For indeed strange things shall happen, and secret things be known,and many centuries shall pass away,ere these memorials be seen of men. And,when seen, there will be some to disbelieve, and some to doubt, and yet a few who will find much to ponder upon in the characters here graven with a stylus of iron.

The year has been a year of terror,and of feelings more intense than terror for which there is no name upon the earth. For many prodigies and signs had taken place, and far and wide, over sea and land, the black wings of the Pestilence were spread abroad.To those,nevertheless,cunning the stars,it was not unknown that the heavens wore an aspect of ill; and to me, the Greek Oinos, among others, it was evident that now had arrived the alternation of that seven hundred and ninety-fourth year when,at the entrance of Aries,the planet Jupiter is conjoined with the red ring of the terrible Saturnus. The peculiar spirit of the skies, if I mistake not greatly, made itself manifest, not only in the physical orb of the earth, but in the souls,imaginations,and meditations of mankind.

Over some flasks of the red Chian wine, within the walls of a noble hall, in a dim city called Ptolemais, we sat, at night, a company of seven. And to our chamber there was no entrance save by a lofty door of brass: and the door was fashioned by the artisan Corinnos, and, being of rare workmanship,was fastened from within. Black draperies, likewise, in the gloomy room, shut out from our view the moon, the lurid stars, and the peopleless streets – but the boding and the memory of Evil, they would not be so excluded. There were things around us and about of which I can render no distinct account – things material and spiritual – heaviness in the atmosphere – a sense of suffocation – anxiety – and, above all, that terrible state of existence which the nervous experience when the senses are keenly living and awake, and meanwhile the powers of thought lie dormant.

A dead weight hung upon us. It hung upon our limbs – upon the household furniture – upon the goblets from which we drank; and all things were depressed, and borne down thereby – all things save only the flames of the seven iron lamps which illuminated our revel.Uprearing themselves in tall slender lines of light, they thus remained burning all pallid and motionless; and in the mirror which their lustre formed upon the round table of ebony at which we sat, each of us there assembled beheld the pallor of his own countenance, and the unquiet glare in the downcast eyes of his companions.Yet we laughed and were merry in our proper way – which was hysterical; and sang the songs of Anacreon – which are madness; and drank deeply – although the purple wine reminded us of blood. For there was yet another tenant of our chamber in the person of young Zoilus. Dead, and at full lenght he lay, enshrouded; – the genius and the demon of the scene.Alas! he bore no portion in our mirth,save that his countenance,distorted with the plague,and his eyes in which Death had but half extinguished the fire of the pestilence,seemed to take such interest in our merriment as the dead may haply take in the merriment of those who are to die.But also I,Oinos,felt that the eyes of the departed were upon me, still I forced myself not to perceive the bitterness of their expression, and, gazing down steadily into depths of the ebony mirror, sang with a loud and sonorous voice the songs of the son of Teios.But gradually my songs they ceased,and their echoes,rolling afar off among the sable draperies of the chamber,became weak,and undistinguishable, and so faded away.And lo! from among those sable draperies where the sounds of the song departed, there came forth a dark and undefined shadow – a shadow such as the moon, when low in heaven,might fashion from the figure of a man: but it was the shadow neither of man nor of God, nor of any familiar thing. And quivering awhile among the draperies of the room, it at length rested in full view upon the surface of the door of brass.But the shadow was vague, and formless, and indefinite, and was the shadow neither of man nor God – neither God of Greece, nor God of Chaldaea, nor any Egyptian God. And the shadow rested upon the brazen doorway and under the arch of the entablature of the door, and moved not, nor spoke any word, but there became stationary and remained. And the door whereupon the shadow rested was, if I remember aright,over against the feet of the young Zoilus enshrouded.But we,the seven there assembled,having seen the shadow as it come from among the draperies, dared not steadily behold it, but cast down our eyes, and gazed continually into the depths of the mirror of ebony.And at length I, Oinos, speaking some low words,demanded of the shadow its dwelling and its appellation.And the shadow answered,I am SHADOW,and my dwelling is near to the Catacombs of Ptolemais,and hard by those dim plains of Helusian which border upon the foul Charonian canal.And then did we,the seven,start from our seats in horror, and stand trembling,and shuddering,and aghast,for the tones in the voice of the shadow were not tones of any being, but of a multitude of beings, and, varying in their cadences from syllable to syllable, fell duskly upon our ears in the well-remembered and familiar accents of many thousand departed friends.

 

Schatten – Eine Parabel (Edgar Allan Poe)

Wahrlich,ob ich auch wandele durch das Tal des Schattens (Psalm Davids)

Du, der Lesende, weilst noch unter den Lebendigen; ich, der Schreibende aber, habe längst meinen Weg ins Reich der Schatten genommen. Denn das ist gewiss, seltsame Dinge werden geschehen und geheime Dinge aufgeweckt werden, und viele Jahrhunderte werden vergehen, ehe diese Aufzeichnungen den Menschen vor Augen kommen. Und unter denen, die sie sehen, werden manche Ungläubige sein und manche Zweifler und dennoch einige wenige, denen die Schriftzeichen, die ich hier mit stählernem Griffel grabe, viel zum Sinnen geben sollen.

Das Jahr war ein Jahr des Schreckens gewesen und der Empfindungen, die noch stärker sind als die Schrecken, für die es auf Erden keinen Namen gibt. Denn viele Zeichen und Wunder waren geschehen, und fern und nah, über Meer und Land, hatten sich die schwarzen Schwingen der Pest ausgespannt.

Für jene aber, die in den Sternen zu lesen wussten, war es ersichtlich, dass die Himmel einen bösen Anblick boten, und mir, dem Griechen Oinos, wurde es gleich andern klar, dass nun die Wende des siebenhundertvierundneunzigsten Jahres gekommen war, da beim Eintritt des Widders der Planet Jupiter vom roten Ring des schrecklichen Saturn umschnitten wird. Wenn ich nicht irre, so äußerte sich der seltsame Geist der Gestirne nicht nur im physischen Lauf der Erde, sondern in der Seele, der Vorstellungs- und Gedankenwelt der Menschen.

Wir saßen nachts, unser sieben, bei einigen Flaschen roten Weins in einer edlen Halle der düsteren Stadt Ptolemais. Und der Raum besaß keinen andern Eingang als durch eine hohe, erzene Pforte; und der Künstler Corinnos hatte die Pforte gebaut, es war ein kunstvolles Stück, das von innen geschlossen wurde. So hielten auch schwarze Vorhänge dem düsteren Gemach den Anblick des Mondes fern, der fahlen Sterne und menschenleeren Straßen – das Vorgefühl und das Gedenken des Unglücks aber ließen sich nicht so aussperren. Es gab auch Dinge um uns her, von denen ich nicht deutlich Rechenschaft geben kann – materielle und geistige Dinge – eine Dichtigkeit der Luft – ein Gefühl des Erstickens – eine Beängstigung – und vor allem den schrecklichen Zustand, den nervöse Menschen durchmachen, wenn die Sinne scharf und wachsam sind, die Macht des Gedankens aber gebannt liegt. Eine tote Last drückte auf uns. Sie lastete auf unseren Gliedern – auf den Gegenständen im Raum – auf den Bechern, aus denen wir tranken, und alle Dinge wurden schwer davon und bedrückt – alle Dinge, bis auf die Flammen der sieben Lampen aus Erz, die unser Fest beleuchteten. Sich aufreckend zu hohen, schlanken Lichtstreifen, brannten sie bleich und regungslos, und in dem Spiegel, den ihr Glanz auf den runden Ebenholztisch warf, an dem wir saßen, gewahrte jeder von uns die Blässe seines eigenen Angesichts und das unruhige Flackern in den gesenkten Blicken seiner Gefährten. Dennoch lachten wir und waren fröhlich auf unsre eigne Weise – die hysterisch war, und sangen die Lieder des Anakreon – was Wahnsinn war, und tranken tiefe Züge – obgleich der purpurne Wein uns an Blut gemahnte. Denn da war noch ein Gast in unserm Gemach in Gestalt des jungen Zoilus. Tot und in seiner ganzen Länge lag er da, eingesargt – der Geist und der Dämon der Szene. Ach! Er nahm keinen Teil an unsrer Lust, nur dass sein Anlitz, von der Seuche verzerrt, und seine Augen, in denen der Tod die Glut der Pest nur halb gelöscht hatte unsrer Fröhlichkeit ein gewisses Interesse zuzuwenden schienen, wie die Toten es für die Heiterkeit derer, die noch ans Sterben kommen, wohl haben mögen. Doch wenngleich ich, Oinos, fühlte, dass die Blicke des Abgeschiedenen auf mir ruhten, so zwang ich mich dennoch, die Bitterkeit ihres Ausdrucks nicht zu beachten, und standhaft in die Tiefen des ebenholzenen Spiegels spähend, sang ich mit lauter und klangvoller Stimme die Lieder des Sängers aus Teos. Doch allmählich hörten meine Lieder auf, und ihr Echo, das sich weit hinten in den schwarzen Behängen des Raumes verlor, wurde matt und undeutlich und starb dahin. Und weh! aus den schwarzen Behängen, darin die Töne des Liedes erstarben, kam ein dunkler und unbestimmbarer Schatten hervor – ein Schatten, wie ihn der Mond, wenn er tief am Himmel steht, aus der Gestalt eines Menschen bilden mag; aber es war weder der Schatten eines Menschen noch der Schatten eines Gottes oder irgendeiner vertrauten Sache. Er durchzitterte eine Weile die Vorhänge im Raum und kam schließlich auf der Fläche der erzenen Pforte in voller Sicht zur Ruhe. Doch der Schatten war flüchtig und formlos und unbestimmt und war keines Menschen und keines Gottes Schatten – nicht eines Gottes der Griechen noch eines Gottes der Chaldäer noch irgendeines ägyptischen Gottes. Und der Schatten ruhte auf der erzenen Pforte und unter dem Bogen des Türgebälks und rührte sich nicht, sprach kein Wort, sondern ließ sich dort nieder und verblieb da. Und das Tor, auf dem der Schatten ruhte, war, wenn ich mich recht erinnere, genau gegenüber den Füßen des eingesargten jungen Zoilus. Wir aber, die sieben dort Versammelten, die wir den Schatten gewahrt hatten, wie er aus den Vorhängen heraustrat, wagten nicht, ihn anzusehen, sondern senkten die Blicke und spähten beständig in die Tiefen des Ebenholzspiegels. Und endlich wagte ich, Oinos, einige leise Worte und fragte den Schatten nach seiner Herkunft und seinem Namen. Und der Schatten entgegnete: “Ich bin SCHATTEN , und ich hause bei den Katakomben von Ptolemais und dicht an den düstern Feldern von Helusion, die an die trüben Wasser des Charon grenzen.” Und dann sprangen wir sieben erschrocken von unsern Sitzen und standen bebend und schaudernd vor Entsetzen: denn die Klänge in der Stimme des Schattens waren nicht die Klänge irgendeines Wesens, und von Silbe zu Silbe die Laute wechselnd, trafen sie dunkel an unser Ohr im unvergesslichen, vertrauten Tonfall vieler tausender dahingegangener Freunde.

 

That Corpse aus: The Waste Land (T.S. Eliot / John Webster)

That Corpse you planted last year in your garden,
Has it begun to sprout? Will it bloom this year?
Or has the sudden frost disturbed its bed?
Oh keep the Dog far hence,that’s friend to men,
Or with his nails he’ll dig it up again!

by John Webster,as used in T.S.Eliot: The Waste Land ,1 – The Burial of the Dead

 

Der Leichnam, den du letztes Jahr gepflanzt hast,
Keimt er? Wird er blühen dieses Jahr?
Oder hat der Frost sein Bett entstellt?
Haltet den Hund fern, der den Menschen Freund ist,
Dass er ihn nicht ausgräbt mit seinen Nägeln!

Übersetzung: Heiner Müller (ausgenommen Zeile 3)

Ce cadavre que tu plantas l’année dernière dans ton jardin
A-t-il déjà levé? Va-t-il pas fleurir cette année?
Ou si la gelée blanche a dérangé sa couche?
Ou! écarte le chien, car cet ami de l’homme
Fouillerait de ses griffes et le déterrerait!

Traduction: Pierre Leyris; copyright L’École des lettres,Le Seuil, Paris ,1995

 

aus: L’attende l’oubli (Maurice Blanchot)

Ici,et sur phrase qui lui était peut-être aussi destinée,il fit contraint de s’arrêter. C’est presque en l’écoutant parler qu’il avait rédigé ces notes. Il entendait encore sa voix en écrivant. Il les lui montra. Elle ne voulait pas lire. Elle ne lut que quelques passages et parce qu’il le lui demanda doucement.”Qui parle?” disait-elle.”Qui parle donc?” Elle avait le sentiment d’une erreur qu’elle ne parvenait pas asituer

extrait de: Maurice Blanchot, L’attende l’oubli

Hier, und zwar bei diesem Satz, der ihm vielleicht auch noch bestimmt war, sah er sich genötigt innezuhalten. Er hatte sie beinahe sprechen hören, als er die Aufzeichnungen begann. Beim Schreiben noch hörte er ihre Stimme. Er zeigte ihr das Geschriebene. Sie wollte nicht lesen. Sie las nur ein paar Stellen, und auch nur, weil er sie sanft darum bat. “Wer spricht hier?” sagte sie. “Wer spricht denn hier?” Sie meinte, es liege ein Irrtum vor, den sie nur nicht näher bestimmen konnte

Übersetzung: Johannes Hübner

Here, at this very sentence, one which was perhaps also destined for him, he felt it necessary to call a halt. He had almost heard it speak as he began to commit pen to paper. As he wrote he could still hear her voice. He showed her what he had written. She did not wish to read. She read only a few words, and then only because he had bid her softly. “Who is that talking?” she said, “Who is that talking then?” For she believed that there must be some mistake, which she just could not put her finger on…

Translation: Graham Lack

 

Programmheft musica viva (01. Juli 2006)

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